Für den, der leise spricht,
aber alles sieht.

Einführung
Ich porträtiere Menschen, denen ich im öffentlichen Raum begegne – Menschen, die für einen Moment innehalten, sichtbar werden und sich zeigen. Mein Projekt « Raum für Begegnung » ist der Versuch, Street- und Porträtfotografie miteinander zu verweben: spontan, offen und minimaler Inszenierung.
Auf einem Pariser Gehweg entsteht ein temporäres Studio – nicht hinter geschlossenen Türen, sondern dort, wo das Leben pulsiert. Ich baue einen neutralen Hintergrund auf, richte Kamera und Blitz ein – und dann warte ich. Ich spreche niemanden an. Ich dränge mich nicht in den Moment hinein. Ich warte, bis jemand auf mich zukommt. Dieser Schritt verändert alles. Denn nur so entsteht ein Raum, in dem Begegnung freiwillig geschieht. Vertrauen und Würde entfalten sich in der Stille des Augenblicks. Die Methode ist einfach, aber konsequent: Der Hintergrund isoliert das Gegenüber für einen Moment aus dem Strom der Stadt – ohne es aus dem urbanen Kontext zu reißen.
Es entsteht ein visuelles Innehalten, ein Porträt im Vorübergehen. Manche schauen in die Kamera, andere nicht. Es gibt keine Anweisungen, keine Posen – nur Präsenz.
Viele Jahre habe ich in Kamerun und Malawi gelebt und gearbeitet – zunächst als Handwerker, später in der Projektarbeit. Diese Zeit hat meinen Blick auf das Leben geprägt. Ich habe dort nicht nur einen beruflichen Weg gefunden, sondern vor allem enge Beziehungen geknüpft – Verbindungen, die bis heute nachwirken. Wenn ich heute an der Métrostation Château d’Eau Menschen mit afrikanischen Wurzeln begegne, deren kulturelle Herkunft mir vertraut ist, entsteht kein Gefühl von Fremdheit. Vielmehr erkenne ich etwas wieder, das tief in mir verankert ist. Vielleicht ist genau das die innere Spur meines fotografischen Ansatzes: nicht zu erklären, sondern zu sehen. - Die Kamera wird zum Mittel der Aufmerksamkeit – mitten im hektischen Raum der Großstadt, im Moment zwischen Kommen und Gehen.
Château d’Eau
Es ist Samstagmorgen, kurz nach neun in Paris. Ich fahre mit meinem mobilen Fotostudio zur Métrostation Château d’Eau. Noch ist es ruhig, die Transitstationen sind nur spärlich belebt. Doch bereits an der Rolltreppe zum Boulevard de Strasbourg zeigen sich erste Hinweise auf die besondere Bedeutung dieses Ortes: afrikanischstämmige Menschen, die das Geschehen prägen – als Erste, die sichtbar werden. Einige sprechen Passanten an, werben für einen Besuch im Afro-Friseursalon. Jede erfolgreiche Vermittlung bringt eine kleine Provision. Château d’Eau ist kein Ort im klassischen Sinne. Es ist Knotenpunkt, Kreuzung, Passage. Ein Ort, der durch Menschen Gestalt gewinnt. In den letzten Jahrzehnten hat sich das Viertel an der Métrostation zu einem zentralen Treffpunkt afrikanischer Communities entwickelt. Viele Migranten, die in Paris leben – oft ohne offiziellen Status, aber mit Hoffnung auf Aufenthalt – begegnen sich hier im Alltag. Château d’Eau ist Bühne, Treffpunkt, Schutzraum. Mit meinem mobilen Studio – bestehend aus grauem Hintergrund, Kamera, Blitz – werde ich sichtbar inmitten dieses urbanen Stroms. Ich spreche niemanden an. Ich warte.
Und dann entsteht dieser Moment: ein kurzer Blick, ein Lächeln, ein Schritt aus dem Fluss des Alltags heraus. Kein Gespräch, keine Aufforderung – nur Präsenz. Dieses Warten, ohne etwas zu verlangen, schafft Vertrauen. Es öffnet einen Raum, der nicht auf Leistung zielt, sondern auf Begegnung.
Die Porträts, die hier entstehen, spiegeln die Vielfalt der Menschen, die diesen Ort durchqueren: langjährige Pariser, Pendler aus den Banlieues, Menschen mit und ohne Papiere. Für viele ist Château d’Eau mehr als ein Zwischenhalt – es ist Verbindung, Bühne, Kontakt zu den eigenen Wurzeln. Über Monate hinweg habe ich Kontakte geknüpft, fotografiert, beobachtet. Aus spontanen Straßenfotografien wurde eine fotografische Praxis, die an diesem Ort Wurzeln geschlagen hat. Der graue Hintergrund – inspiriert vom Asphalt unter meinen Füßen – verstärkt die Nähe zur Stadt, ohne das Gegenüber darin aufzulösen. Vielleicht liegt genau in diesem Innehalten der Kern des Projekts: Die Menschen werden nicht erklärt – sie zeigen sich. Die Bilder bewahren ihre stille Präsenz. Sie lassen die Würde des Alltäglichen aufscheinen.

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Notiz
Meine Arbeit mit Leica-Kameras begann im Jahr 2006. Damals reiste ich nach Solms, ließ mich beraten – und verließ den Ort mit meiner ersten Leica: der Digilux 2. Mit ihr begann ich, meinen fotografischen Blick zu schärfen – zunächst in Kamerun, wo ich damals lebte. Die klare Formensprache, die Reduktion auf das Wesentliche, die bewusste Handhabung dieser Kamera – all das prägte meinen Zugang zur Fotografie von Anfang an.Seither begleiten mich Leica-Kameras auf meinem Weg. Alle Porträts in diesem Buch entstanden mit der Leica SL2 und dem Voigtländer Nokton 35mm f/1.2 aspherical. VM II. Diese Kombination bot mir nicht nur technische Präzision, sondern auch eine Bildsprache, die der Würde des Gegenübers Raum gibt – klar, direkt, unaufdringlich.
Als Stativ kam ein Gitzo Mountaineer der Serie 3 zum Einsatz, ausgestattet mit einem Arca-Swiss Leveler und passender L-Schiene.
Für die Lichtführung nutzte ich einen kompakten, mobilen Profoto A2 Blitz – leistungsstark und flexibel einsetzbar. Das Herzstück meines mobilen Studios war ein faltbarer Hintergrund (1,5 × 2,1 m) von Manfrotto in Walnuss/Pewter-Optik. Er ermöglichte eine visuelle Fokussierung auf die porträtierte Person, ohne den urbanen Kontext völlig auszublenden. Transportiert wurde die gesamte Ausrüstung – inklusive zweier Gegengewichte zur Stabilisierung des Hintergrund-Stativs auf dem Gehweg – in einem Anderson Royal Shopper mit Ortlieb-Tasche: wetterfest, unauffällig, straßentauglich.
Danksagung
Mein besonderer Dank gilt den Mentoren bei Magnum Photos & Spéos, die mich im Rahmen des "Documentary Programs" von September 2024 bis Juli 2025 begleitet haben. Ihre konstruktiven Rückmeldungen und persönlichen Gespräche haben mir geholfen, meine Arbeit weiterzuentwickeln und mein fotografisches Verständnis zu vertiefen.Durch die intensive Auseinandersetzung mit meiner Fotografie konnte ich nicht nur meine technischen Fähigkeiten erweitern, sondern auch ein besseres Gespür für die gesellschaftliche Relevanz dokumentarischer Fotografie gewinnen.
Die Perspektiven, die mir eröffnet wurden, haben meinen Blick geschärft und mich ermutigt, meinen Weg konsequent weiterzugehen.
Ich danke dem gesamten Team für die Unterstützung und das Vertrauen, das mir entgegengebracht wurde – für die Inspiration und die Offenheit, die mir geholfen haben, meine fotografische Sprache weiterzuentwickeln und die Bedeutung der stillen, respektvollen Erzählweise zu erkennen.

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